12.05.2021

Gerade zu Beginn der Coronapandemie stand die Frage im Raum, wie die Versammlungen trotz Versammlungsverbot abgehalten werden könnten, damit auch die Verwaltung operativ handlungsfähig bleibt. Bedenkt man, dass das Zivilgesetzbuch 1911 eingeführt wurde, ist das Stockwerkeigentum im Sinne der Rechtseinordnung eigentlich eine noch recht junge Disziplin. Das STWEG wurde erst 1965 ins Zivilgesetzbuch aufgenommen. Und trotzdem ist es bald 60-jährig.

Der Gesetzgeber wollte seinerzeit das Stockwerkeigentum auf Gesetzesebene möglichst schlank halten. Deshalb wird dort, wo das Stockwerkeigentum keine eigenen Gesetzgebungen vorsieht, oft auf das Vereinsrecht verwiesen. Die Krux an einem schlanken Stockwerkeigentum und dem Verweis auf das Vereinsrecht ist einerseits, dass es aufgrund fehlender Vorgaben im ZGB oft zu Rechtsstreitigkeiten innerhalb der Stockwerkeigentümergemeinschaften kommt. Andererseits stammen die formellen Regelungen oft aus einer Zeit, in der in Sitzungszimmern noch geraucht wurde, die Frauen noch kein Stimmrecht hatten und eine Sitzung oder Versammlung eine willkommene Abwechslung und Möglichkeit zum Austausch war.

Corona hat nun aber aufgezeigt, dass einige Elemente aus dem Stockwerkeigentum bzw. dem Vereinsrecht nicht unbedingt praktikabel sind. Eines der Beispiele, das bereits vor Corona in Fachkreisen rege diskutiert wurde, ist die Form der Einladung und des Protokolls. Grundsätzlich sind sich die Gelehrten einig, dass gemäss Gesetzeslaut die Einladung sowie das Protokoll physisch per Post und eigentlich sogar eingeschrieben versendet werden müssen. Ein Versand per E-Mail ist zum heutigen Zeitpunkt und mit den bestehenden technischen Lösungen nicht zulässig, da nicht einwandfrei nachgewiesen werden kann, dass jeder Eigentümer die nötigen Unterlagen auch sicher erhalten hat. Beim Versand per Einschreiben haben die meisten Verwaltungen auch aus Kostengründen autonom auf einen Versand per normaler Briefpost umgestellt.

Ein anderes Thema sind die Versammlungen. Gerade zu Beginn der Coronapandemie stand die Frage im Raum, wie die Versammlungen trotz Versammlungsverbot abgehalten werden könnten, damit auch die Verwaltung operativ handlungsfähig bleibt. Gemäss gültiger Gesetzgebung bestanden keine Alternativen. Schriftliche Beschlüsse (Zirkularbeschlüsse) können gemäss Gesetz zwar gefasst werden. Diese mussten aber vor Corona einstimmig sein. Die Erfahrungen bei Stockwerkeigentümergemeinschaften zeigt, dass ein einstimmiger Beschluss bei STWEGs fast nicht zu erzielen ist.

Dadurch sah sich der Gesetzgeber veranlasst, eine eigene Covid-19-Verordnung für Eigentümerversammlungen zu erlassen. Interessant, nicht wahr? Diese Verordnung ist vorläufig bis am 31.12.2021 gültig und gibt dem Verwalter weitläufige Entscheidungsbefugnis, in welcher Form eine Eigentümerversammlung durchgeführt werden kann. Die Entscheidung über die Form obliegt alleine dem Verwalter (Auszug aus den FAQ des Bundes: «Art. 27 gibt dem Verwalter – und nur diesem – das Recht, eine schriftliche/elektronische Abstimmung anzuordnen. Der Stockwerkeigentümer selbst kann dies nicht einmal beantragen.») und es stehen drei Varianten zur Verfügung:

1. Schriftliche Abstimmung (Urabstimmung). Einstimmigkeit ist nicht mehr nötig. Es gilt die einfache Mehrheit.


2. Durch einen von der Eigentümergemeinschaft bezeichneten unabhängigen Stimmrechtver­treter.


3. In elektronischer Form.


Bei der Curvér und für die über 150 Stockwerkeigentümergemeinschaften mit mehr als 2'500 Wohnungen haben wir uns entschieden, keine elektronischen Versammlungen abzuhalten. Warum dies? Es gibt für uns drei Gründe, die gegen eine Durchführung einer Eigentümerversammlung in digitaler Form sprechen:

1. Elektronische Abstimmungen sind Versammlungen, welche mittels Video- oder Telefonkonferenz abgehalten werden. Verwendete Tools müssen sicherstellen, dass die Teilnehmer identifiziert werden können. Zudem müssen alle Teilnehmer die Möglichkeit haben, sich zu äussern, die Voten anderer Teilnehmer zu hören und ihre Stimme abzugeben. Leider sind die standardmässig auf dem Markt erhältlichen Tools zum heutigen Zeitpunkt noch nicht in der Lage, die Identifikation der Teilnehmer einwandfrei und abschliessend zu erfassen (Einwahlcodes oder -links genügen nicht). Auch zeichnen sie nicht auf, ob jeder Eigentümer zu jeder Zeit eine einwandfreie Verbindung hatte. Sollte die befristete Verordnung des Bundes zur Praxis werden, werden wir seitens Curvér AG insb. für kleinere Verwaltungen versuchen, entsprechende Tools anzuschaffen und die Versammlung zukünftig in elektronischer Form abzuhalten.


2. Wir dürfen nicht vergessen, dass Eigentümergemeinschaften sehr heterogen sind. Die Bandbreite der IT-Affinität geht vom Tool-Afficionado bis zum IT-Verweigerer. Es scheint uns wichtig und zwingend, dass jeder Eigentümer unabhängig seiner Tool-Affinität die Möglichkeit hat, seine Eigentümerrechte wahrzunehmen.


3. Die Eigenheit von Eigentümerversammlungen liegt darin, dass an einer Versammlung sehr oft Partikularinteressen mit einer gewissen Brisanz und Emotion diskutiert werden. Dies im Gegensatz zu z.B. Vereinsversammlungen, wo sich meistens Gleichgesinnte mit ähnlichen und gleichgeschalteten Interessen treffen. Bereits bei physischer Präsenz ist es bei Eigentümerversammlungen eine grosse Kunst, diese strukturiert, sachlich und zielgerichtet zu führen. Meiner Meinung nach kann dies bei «digitalen Versammlungen» fast nicht gewährleistet werden bzw. würde ich mir selber es nicht zutrauen, dies zu garantieren.


Dies sind die Gründe, weshalb wir uns für die Vorgehensweise ohne digitale Versammlungen entschieden haben. Es mag wohl sein, dass die Zukunft neue Formen der Eigentümerversammlungen nötig macht.

Sollten die Coronarestriktionen aber langfristig anhalten, so müssen wir vielleicht auch ein wenig flexibler werden. Flexibler bezüglich Versammlungstermin (nicht nur zwischen Weihnachten/Neujahr und an den Wochenenden im Februar) und flexibler bezüglich Sitzungsort. So haben wir in diesem Winter unter Einhaltung aller Vorgaben bei einer kleineren Stockwerkeigentümergemeinschaft z.B. eine Versammlung in der Tiefgarage durchgeführt.

Und während ich diese Zeilen schreibe, sitzt mir mein Bereichsleiter der Immobilienverwaltung, Urs Pargmann, im Nacken. Er möchte unsere vier Verwalter an einen Kurs zur Führung von digitalen Eigentümerversammlungen anmelden und neue IT-Infrastruktur bestellen. Es schiessen mir dabei drei Gedanken durch den Kopf: 1. Hoffentlich können die Eigentümerversammlungen im Winter 21/22 physisch durchgeführt werden. 2. Nichts ist älter als die Zeitung von gestern und 3. Zum Glück habe ich einen solch innovativen Bereichsleiter.

Ich kann nicht nur Flexibilität predigen, sondern muss sie auch leben. Also lieber Urs, melde die Kollegen an den Kurs an und bestelle die Infrastruktur… ????.

 

Ihr Manfred Fiegl