01.10.2021

Es versteht sich von selbst, dass die Beurteilung, ob ein Bieterverfahren im Immobilienverkauf ethisch oder moralisch sei, zu einem grossen Teil vom Blickwinkel abhängt. Für den Verkäufer ist es eine Möglichkeit, seinen Verkaufserlös zu maximieren. Entsprechend freuen sich die meisten Verkäufer, wenn Sie ihre Immobilie im Rahmen eines Bieterverfahrens verkaufen können. Ganz anders sieht es bei den Kaufinteressenten aus. Die meisten Kaufinteressenten reagieren irritiert, wenn man sie im Rahmen eines Immobilienverkaufes darauf aufmerksam macht, dass die Traumimmobilie dem Meistbietenden verkauft wird. Grossmehrheitlich hängt diese Irritation damit zusammen, dass man als Kaufinteressent nicht mehr im «Driver’s seat» sitzt.

Doch wie empfindet/sieht ein Makler das Bieterverfahren und wie oft wird es überhaupt angewendet? Wenn wir zuerst die Frage der Bedeutung (wie viele Verkäufe werden überhaupt in einem Bieterverfahren abgewickelt) beleuchten, gilt es, zwischen den Regionen und der Objektart zu unterscheiden. Wir stellen fest, dass es in der Regionen Savognin und Albula eher selten zu Bieterverfahren kommt. (Abgesehen von Liebhaberobjekten wie zum Beispiel Maiensässen.) Auch bei tieferen Kaufpreisen (z.B. Studio für CHF 120'000.00) kommt es eher selten zu Bieterverfahren.

Anders sieht es in der Region Lenzerheide aus. Von den durch uns begleiteten Verkäufen im Jahr 2021 wurden rund 80% der verkauften Immobilien im Bieterverfahren verkauft. Dies hängt weniger mit der Curvér AG als mehr mit der sehr grossen Nachfrage in der Region zusammen. Da wir heute im Schnitt pro Immobilie innert kürzester Frist 20 nachweislich am Kauf interessierte Kunden generieren, bleibt zur Auswahl des effektiven Käufers oft gar keine Alternative als ein Bieterverfahren.

Bezüglich Bieterverfahren habe ich zwei Herzen in meiner Brust. Einerseits ist es wichtig zu verstehen, dass wir als Makler in erster Linie unserem Auftraggeber, dem Verkäufer, verpflichtet sind. Es ist unsere Aufgabe, für unseren Auftraggeber den bestmöglichen Preis zu erzielen. Das ist einer der Gründe, warum er sich an einen ortskundigen Makler wendet und nicht an einen «digitalen» Makler.

Auf der anderen Seite erleben wir tagtäglich die Reaktionen der Kaufinteressenten. Meistens sind diese – vor allem dann, wenn ein Interessent den Zuschlag nicht erhält – von Enttäuschung, Unverständnis und Verärgerung geprägt. Deshalb können wir als Mensch, der hinter dem Makler steht, durchaus auf die Bieterverfahren verzichten. Auch die Mehrprovision, die wir zugegebener Massen durch ein Bieterverfahren verdienen, mag diese negativen Aspekte nicht immer ganz zu kompensieren.

In den letzten zwei Jahren jedoch haben wir uns mit den Bieterverfahren arrangiert. Hauptsächlich weil wir wissen, dass wir so den maximalen Verkaufspreis für unseren Auftraggeber erzielen können. Aber auch mit der Gewissheit, dass wir bei der Curvér AG einen soweit als möglich fairen, transparenten und standardisierten Bieterprozess anbieten. Im Wissen, dass wir einzelne Aufträge dadurch verlieren, lehnen wir seitens der Curvér AG z.B. Aufträge, die ein mehrstufiges Bieterverfahren vorsehen, grundsätzlich ab. Mehrstufiges Bieterverfahren bedeutet, dass die Kaufinteressenten die Möglichkeit haben, schrittweise unter Nennung des jeweiligen Höchstgebotes mehrere, zeitlich aufeinander folgende Angebote abzugeben.

Meiner Meinung nach handelt es sich dann um ein faires und transparentes Bieterverfahren, wenn die folgenden Rahmenbedingungen eingehalten werden:

  • Könnte es bei einer Immobilie aufgrund des grossen Interesses zu einem Bieterverfahren kommen, sollten Kaufinteressenten bereits bei der Vereinbarung des Besichtigungstermins auf diese Möglichkeit aufmerksam gemacht werden. Sie wissen also, auf welches Verfahren sie sich einlassen.
  • Damit das Bieterverfahren einigermassen strukturiert abläuft, muss auch die Anzahl Besichtigungen beschränkt und diese an zeitlich nahe beisammen liegenden Tagen durchgeführt werden.
  • Anschliessend erhalten die Interessenten nach erfolgter Besichtigung und Zustellung der weiterführenden Unterlagen eine Woche Zeit, ein Angebot abzugeben. Dies mit dem Hinweis, dass nur ein einmaliges Angebot abgegeben werden kann und bei gleichlautenden Angeboten das ersteingehende Angebot den Zuschlag erhält. Vorbehalten bleiben selbstverständlich jeweils persönliche Entscheidungsgründe des Verkäufers (z.B. die Vergabe an eine Familie mit Kindern). Sobald alle Angebote eingegangen sind, werden diese mit dem Eigentümer besprochen. Alle Mitbietenden erhalten dann meistens innerhalb von 48 Stunden eine Rückmeldung über den Ausgang des Bieterverfahrens.

Wir haben die Erfahrung gemacht, dass die Kaufinteressenten bei einem solchen Vorgehen meistens Verständnis für das gewählte Verfahren zeigen. Interessant ist, dass pro durchgeführtem Bieterverfahren meistens nicht mehr als einer von rund 20 Interessenten sein Interesse aufgrund des Bieterverfahrens zurückzieht.

Vielleicht interessant für Sie: Wir waren rund zehn Jahre auf der Suche nach einem Eigenheim für unsere Familie im Raum Lenzerheide und dabei immer wieder mit Bieterverfahren konfrontiert. Ich habe die Teilnahme an Bieterverfahren in der Rolle als Kaufinteressent meistens abgelehnt und nicht teilgenommen. Bis ich gemerkt habe, dass wir ohne Teilnahme an einem Bieterverfahren vermutlich nie zu einem Eigenheim kommen werden … Nun werden wir nach langer Suche am 1. Dezember 2021 unser neues Zuhause beziehen.

Die Moral der Geschichte für mich: Vielleicht liegen Bieterverfahren nicht unbedingt im Charakter insbesondere von Schweizer Käufern. Aber mit einem strukturierten Prozess mit transparenter Ausgangslage kann man als Interessent meist leben. Und am Ende des Tages ist es wie an vielerlei Orten in unserem täglichen Leben: Angebot und Nachfrage bestimmen halt doch den Preis!