19.04.2022

Wie die regelmässigen Leser meines Blogs wissen, habe ich ein regulatorisches Lieblingsthema: das Zweitwohnungsgesetz. Persönlich bin ich der Meinung, dass es sämtliche seiner Ziele vollumfänglich verpasst hat. Ich muss aber eingestehen, dass mein Lieblingsthema Gefahr läuft, nicht mehr meine Nummer 1 zu sein, sondern durch das neue Raumplanungsgesetz (RPG 1) abgelöst werden wird.

Im Jahr 2014 hat das Stimmvolk das neue Raumplanungsgesetz (RPG 1) mit 63 Prozent Ja-Stimmen deutlich angenommen. Die Gemeinden im Kanton Graubünden sind angewiesen, dieses im Verlauf des Jahres 2022 umzusetzen. Angepriesen wurde das neue Gesetz in erster Linie damit, dass die Zersiedelung gestoppt und Kulturland geschützt werden soll. Wie das Abstimmungsergebnis zeigt, hat dieses Anliegen eine grosse Mehrheit gefunden. Auch bei mir fanden die Schlagzeilen «Stoppen der Zersiedelung», «Schützen des Landschaftsbildes» und «haushälterischer Umgang mit (Land)-Ressourcen» einen gewissen Anklang. Obwohl ich Betriebsökonom bin und eigentlich aufgrund meiner Ausbildung mit dem «Wachstums-Gen» geimpft wurde, bin ich mir schon seit Längerem im Klaren, dass die Philosophie unserer Gesellschaft mit höher, weiter, schneller, langfristig kaum mehr zu halten sein wird. Dies gilt auch in der Immobilienwirtschaft.

Gestockt habe ich aber seinerzeit bei der Abstimmungsunterlage, als ich das Kleingedruckte gelesen habe. Denn nach Annahme des RPG 1 dürfen Bauzonen nur noch so gross sein, dass sie den erwarteten Bedarf für die nächsten 15 Jahre abdecken. Sind mehr Flächen vorhanden als voraussichtlich benötigt, müssen sie ausgezont werden. Die beiden grossen Probleme im Kleingedruckten sind der erwartete Bedarf und das Auszonen.

Beim erwarteten Bedarf handelt es sich um einen kalkulatorischen Wert, der aus der vergangenen Entwicklung versucht, das Bevölkerungswachstum für eine gewisse Region zu einem gewissen Zeitpunkt in die Zukunft zu projizieren. Darauf basierend wird dann der Baulandbedarf errechnet und für die nächsten 15 Jahre festgelegt. Die Schwierigkeit an dieser Geschichte ist, dass niemand 15 Jahre im Voraus die zukünftige Entwicklung abschätzen kann. Oder haben Sie schon mal eine ökonomische Prognose gesehen, die schlussendlich auch so eingetroffen ist? Hätten wir uns vor zwei Jahren vorstellen können, dass Homeoffice ein Thema wird und Arbeiten in der Stadt und Wohnen in den Bergen effektiv machbar ist? Sicherlich nicht. Auch stellt sich mir die Frage, wie eine Region nachweisen soll, dass sie wachsen kann, wenn sie kein Bauland mehr zur Verfügung hat. Da sich das RPG 1 auf dem voraussichtlichen Baulandbedarf der nächsten 15 Jahre abstützt, wird das RPG 1 für Tourismusgemeinden zum negativen Perpetuum mobile. Sind die Reserven erst einmal ausgezont, werden die Berggemeinden nie mehr in der Lage sein, ein Wachstum nachzuweisen. Für die ortsansässige Bevölkerung und Unternehmer ist dies eine mittlere Katastrophe. Ausser man möchte aus dem Berggebiet zunehmend ein Ballenberg der Alpen machen, in dem man Eintritt bezahlt, um die aussterbenden Alpenindianer zu sehen.

An dieser Stelle kommt aber der Punkt, der auch für nicht ortsansässige Immobilienbesitzer zum Problem werden kann. Gemäss einem ersten Entwurf des kommunalen räumlichen Leitbilds (Basis für die Umsetzung des RPG 1) der Gemeinde Vaz/Obervaz muss die Gemeinde 90 % der heutigen Baulandzonen auszonen. Dies unabhängig, ob die Baulandflächen erschlossen sind oder nicht. Und auszonen bedeutet auszonen. Das heisst, wenn Sie heute ein Grundstück in der Baulandzone haben und dieses je nach Lage und Nutzbarkeit einen Wert zwischen CHF 500.00 und CHF 2'000.00 p/m2 hat, wird es nach Umsetzung des RPG 1 nur noch Wiesland sein und einen Wert zwischen CHF 2.00 und CHF 10.00 p/m2 haben. Und gegen die Umsetzung des kommunalen räumlichen Leitbilds hat man kaum Rechtsmittel. Das heisst, die Eigentümer von Bauland werden faktisch enteignet. Meiner Meinung nach sind dies Praxen, die man so nur aus kommunistischen Ländern kennt.

Auch in der Ferienregion Savognin und im Albulatal sieht die Situation nicht viel besser aus. In der Gemeinde Surses (dazu gehört Savognin) z.B. wird es voraussichtlich pro Fraktion nur noch 4-5 Bauflächen geben. Man stelle sich vor, dass im Dorf Savognin in den nächsten 15 Jahren nur noch 4-5 Bauprojekte realisiert werden können!? Ich persönlich kann mir dies nicht vorstellen. Und es geht hier nicht um Spekulation, sondern allein darum, den Bedarf an Wohnraum für Einheimische/Ortsansässige zu befriedigen.

Wenn die ortsansässige Bevölkerung keinen Wohnraum hat, fällt es den Unternehmen schwer, Mitarbeitende zu finden und wenn es keine Möglichkeit gibt, Mitarbeitende zu finden, werden die Unternehmen ihre Dienstleistungen zurückfahren müssen. Im Kontext der erwarteten zusätzlichen Preissteigerung bei Immobilien ist die Umsetzung des RPG zusammen mit der aktuellen Marktnachfrage ein toxischer Cocktail für die Berggebiete.

Obwohl die jeweiligen Gemeinden schon lange an der Umsetzung der kommunalen räumlichen Leitbilder arbeiten und innerhalb der jeweiligen Kommissionen zu 90 % klar ist, welche Parzellen ausgezont werden, ist bis jetzt noch relativ wenig an die Öffentlichkeit gelangt. Sie werden sich vielleicht denken, dann wird die Suppe auch nicht so heiss gegessen, wie der Herr Fiegl meint. Falls Sie in einer touristischen Gemeinde eine Baulandparzelle besitzen, würde ich Ihnen sehr empfehlen, sich einmal mit dem lokalen Bauamt in Verbindung zu setzen und nachzufragen, wie das Schicksal Ihrer Baulandparzelle aller Voraussicht nach aussehen wird.

Damit Sie mich richtig verstehen: Ich bin absolut dafür, dass wir uns bei der baulichen Entwicklung der Berggemeinden auf den heutigen Siedlungsperimeter reduzieren. Aber es wird massenweise Parzellen geben, die im heutigen Siedlungsperimeter liegen, voll erschlossen sind und die dennoch ausgezont werden müssen. Das kann meiner Meinung nach nicht im Sinne des Erfinders sein. Auch bin ich klar der Meinung, dass Baulandparzellen bebaut und nicht gehortet werden sollen. Bau-Land heisst deshalb Bauland, weil es bebaut werden soll und nicht weil man es für die schöne Aussicht oder für die Urenkel benötigt. Wenn jemand seine Baulandparzelle innerhalb von fünf Jahren nicht bebaut, teile auch ich die Meinung, dass diese ausgezont werden soll.

Die Berggemeinden brauchen einen Spielraum, um sich weiter entwickeln zu können. Nur von der schönen Landschaft und der Aussicht können wir nicht leben. Das RPG 1 ist nach dem Zweitwohnungsgesetz die zweite Vollbremsung für die Entwicklung von Berggebieten innerhalb von zehn Jahren. In diesen beiden Fragen bin ich vor allem mit unseren Behörden und Politikern unzufrieden. Ich weiss, in der Schweiz gehört es zum guten Ton, Abstimmungsergebnisse zu akzeptieren und umzusetzen. Dies trägt auch zur Stabilität der Schweiz bei. In diesen beiden Fällen ist es aber höchste Zeit, dass unsere Behörden reagieren und den Gesetzgeber auf die daraus entstehenden Probleme hinweisen. Für mich ist die geplante Umsetzung des RPG 1 ein absolutes No-Go und ich empfehle allen Besitzern von Baulandparzellen in Berggebieten, sich frühzeitig zu informieren und die entsprechenden möglichen Massnahmen zu evaluieren.

Ihr MJF