15.09.2022

Privat finde auch ich in regelmässigen Abständen Postwurfsendungen unserer Mitbewerber im Briefkasten. Bis dato hatten ihre Botschaften meistens denselben Aufhänger: «Lassen Sie Ihre Immobilie schätzen. Kostenlos. Unverbindlich.» Auch wir sind auf dieser Welle geritten.

Kürzlich fiel mir aber ein Flyer mit dieser klaren Aufforderung auf: «Verkaufen Sie Ihre Immobilie. Jetzt.» Der Flyer hatte seinen Zweck erfüllt. Er machte mich «gwundrig». Er war wertig, gefällig gestaltet und sehr gut geschrieben. Die Konkurrenten hatten also alles richtig gemacht.

Trotzdem brachte mich das Flugblatt zum Nachdenken. Die Hauptmassage darin war, dass Eigentümer ihre Immobilie jetzt verkaufen sollten, da aufgrund der Inflation mit steigenden Zinsen, einer Rezession und demnach mit sinkenden Immobilienpreisen zu rechnen sei. Ich habe reiflich darüber nachgedacht und mich mit Berufskolleginnen und -kollegen ausgetauscht, um mir eine Meinung zum Thema zu bilden. Und ich kam zum Schluss, dass ich anderer Ansicht bin – jedenfalls was die Ferienwohnung im Schweizer Berggebiet betrifft, denn damit kenne ich mich am besten aus. 

Es ist seit jeher so, dass ein «technischer» Zusammenhang zwischen Zinssätzen und Immobilienpreisen besteht. Vereinfacht gesagt, ist es in ausgeglichenen Märkten meistens so, dass steigende Zinsen eine dämpfende Wirkung auf die Immobilienpreise haben. Dieser Effekt dürfte auch dieses Mal ein Stück weit zum Tragen kommen.

Im Flyer des Mitbewerbers kommt meines Erachtens ein Aspekt zu kurz. Nämlich die Auswirkung von Angebot und Nachfrage auf die Preisentwicklung. Es mag sein, dass aufgrund der aktuellen Unsicherheiten, nachdem wir von einer Krise (Coronapandemie) in die andere (Ukraine-Krieg) gerutscht sind, die Nachfrage leicht nachgeben wird. Was sich aber meiner Einschätzung nach noch akzentuieren wird, ist die bestehende Angebotsknappheit. Der Bau neuer Ferienimmobilien wird weiterhin schrittweise erschwert (z. B. durch Bundesgerichtsentscheide im Rahmen des Zweitwohnungsgesetzes) oder durch die noch umzusetzenden Massnahmen des Raumplanungsgesetzes weiter eingeschränkt. In einigen Bündner Gemeinden werden zudem kommunale Einschränkungen hinsichtlich der Nutzung altrechtlicher Zweitwohnungen als Ferienimmobilien geprüft.

All diese Umstände werden in meinen Augen die Angebotsknappheit bei Ferienimmobilien weiter verschärfen, was aber durch die leicht schwächere Nachfrage kompensiert wird. Ich schätze deshalb, dass die Angebot-Nachfrage-Funktionalität einen allfälligen weiteren Zinsanstieg abfedern wird.

Auch bin ich der Meinung, dass die steile Kurve der Preisanstiege (bis zu 25%) in den letzten beiden Jahren abflachen wird, und dass wir in den kommenden zwei bis drei Jahren keine signifikanten Preissteigerungen mehr bei Ferienimmobilien erwarten dürfen. Ich bin aber auch klar der Meinung, dass wir keinen Marktwert-Crash sehen werden, sondern vielmehr eine Seitwärtsbewegung über eine gewisse Zeitperiode.

Daneben haben wir in den letzten zwei Jahren die Erfahrung gemacht, dass Käuferinnen und Käufer von Ferienimmobilien sehr konservativ finanzieren und somit steigende Zinsen verkraften können, ohne dass es zu einem «Notverkauf» kommt.
Auch weil Immobilien eine langfristige Anlageklasse sind, halte ich nicht viel vom reisserischen Aufmacher des Mitbewerbers. Ich glaube nicht, dass Sie Ihre Immobilie unbedingt und sofort verkaufen müssen, um einen Höchstpreis zu erzielen. Ich denke aber auch nicht, dass es Sinn macht, die nächsten zwei bis vier Jahre auf steigende Preise zu spekulieren. Vielmehr würde ich meinen Verkaufsentscheid davon abhängig machen, ob ich die Ferienimmobilie noch nutze oder nicht. Wenn die Immobilie nur noch gehalten wird in der Hoffnung auf einen Preisanstieg, ist sie aufgrund der aktuell massiv steigenden Nebenkosten zu teuer und ein Verkauf sollte erwogen werden. Wenn die Ferienwohnung aber regelmässig genutzt ist und die Eigentümer und deren Familien den Aufenthalt bei uns geniessen, sehe ich keinen Grund, die Liegenschaft nur aufgrund des Marktumfelds zu verkaufen.

Lassen Sie sich aufgrund der zahlreichen und sehr plakativen Aussagen nicht verunsichern. Immobilien haben zwar auch Krisen erlebt und im Preis nachgegeben, sind in langer Frist aber meistens gestärkt wieder hervorgegangen. 

Ihr MJF